Nachts aufs Land fahren und den Sternenhimmel bewundern – was gibt es Schöneres? Fernab grell leuchtender Gebäude und Straßenlampen zeigt sich die Milchstraße in voller Pracht. Zumindest war das früher so. Denn mit zunehmender Lichtverschmutzung wird es schwieriger, den Blick in die Weiten unserer Galaxie schweifen zu lassen. Und damit nicht genug. Lichtverschmutzung hat noch andere schwerwiegende Folgen. Wir fragen zwei Experten, wie das Phänomen entsteht, was es so gefährlich macht – und wie wir es verhindern können.
“Ich muss fünf Stunden fahren, um einen sternenklaren Himmel zu sehen,“ erzählt uns Fabio Falchi. Was für ein Aufwand – besonders für jemanden, der sich schon sein ganzes berufliches Leben mit unserer Galaxie beschäftigt. Seit 15 Jahren forscht Falchi in Italien am Light Pollution Science and Technology Institute. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der Messung und Quantifizierung von Lichtverschmutzung. Eines seiner Hauptprojekte ist der World Atlas of Artificial Sky Brightness – eine Weltkarte, die das Problem der Lichtverschmutzung in Zahlen ausdrückt. Dabei greift Falchi auf eine spezielle Software zurück. Diese wertet Satellitendaten aus, wie sich Licht in der Atmosphäre ausbreitet. „Selbst ich war von den neuesten Ergebnissen schockiert,“ gesteht Falchi. Seine letzte Studie zum Thema erschien im Juni 2016.
“Die Studie zeigt, dass 83% der Weltbevölkerung heute unter lichtverschmutztem Himmel leben. In den USA und Europa sind es sogar 99% der Menschen,“ erklärt er. Unter den G20-Ländern gibt es den höchsten Grad an Verschmutzung in Italien und Südkorea, am niedrigsten ist er in Australien. Als Lichtverschmutzung bezeichnet man die Aufhellung des natürlichen Nachthimmels, hauptsächlich verursacht durch übermäßigen, fehlgeleiteten oder unangemessenen Einsatz von künstlichem Licht. Der hellere Nachthimmel verdeckt die Sterne teilweise oder vollständig. Zwar sind bewohnte Gebiete (besonders Städte) am stärksten betroffen, aber auch ländliche Gebiete leiden unter den Folgen. „Man kann über den Städten Lichtkuppeln erkennen, selbst wenn man hunderte Meilen entfernt ist,“ sagt Falchi.
Falchi bezeichnet Lichtverschmutzung als „leuchtenden Nebel.“ So poetisch das auch klingen mag: die Realität ist ernüchternd – und die Folgen sind global. Fehlgeleitete Beleuchtung verschwendet nicht nur große Mengen an Geld und Energie. Sie hat auch schwerwiegende ökologische Konsequenzen und schadet der menschliche Gesundheit. Viele Tiere sind auf die natürliche Abfolge von Tag und Nacht angewiesen, um zu überleben. Diese Abläufe zu stören wirkt sich auf Tätigkeiten wie Jagen, Wandern und Fortpflanzung aus. Was den Menschen betrifft: „Die American Medical Association warnt vor künstlichem Licht in der Nacht, insbesondere vor Licht mit hohem Blauanteil, wie es von weißen LEDs produziert wird. Dieses Licht kann den Bio-Rhythmus und den Melatoninspiegel beeinflussen – und damit Schlafmuster und das Immunsystem,“ erläutert Falchi. Er fügt hinzu: „Das Problem bezieht sich nicht auf LED-Technologie allgemein. Weiße LEDs mit einer sehr niedrigen Farbtemperatur, also unter 2500 Kelvin, sind unproblematisch. Je niedriger, desto besser.“
Falchi betont aber auch die kulturellen Auswirkungen: „Für mich ist die Milchstraße das größte Naturwunder. Wir sollten sie jede Nacht betrachten können,“ sagt er. „Ich sorge mich, dass künftige Generationen dieses Phänomen nie kennenlernen werden. Wenn solch eine großartige Inspirationsquelle verloren geht, dann leiden Literatur, Philosophie und Musik darunter.“
Können wir etwas tun, um die Lichtverschmutzung rückgängig zu machen? Wir haben einen weiteren Experten dazu befragt.
Michael Stats ist Vertical Application Manager Transportation & Outdoor DACH bei LEDVANCE. Seine Vision ist einfach und überzeugend: „Wir können Lichtverschmutzung durch gute Lichtsteuerung und optische Systeme minimieren.“ Dazu gehören laut Stats Dimmer, Zeitschaltuhren und Bewegungssensoren – alles Technologien, zu denen LEDs besonders gut passen.
Bei der öffentlichen Straßenbeleuchtung kommt es darauf an, das Licht besser abzuschirmen. So lässt sich verhindern, dass es nach oben abgestrahlt wird. Stats betont: „In der Vergangenheit fehlte häufig die Abschirmung. Das Licht wurde in alle Richtungen verstreut.“ Moderne LED-Straßenlichter können im Gegensatz zu konventionellen Lampen leichter auf eine bestimmte Fläche gerichtet werden, die beleuchtet werden soll. „Es lässt sich jedoch nie vermeiden, dass Licht vom Boden oder umgebenden Gebäuden reflektiert wird. Auch Partikel in der Atmosphäre im Umfeld der Lampe tragen zur Streuung des Lichts bei.“
Letztlich lässt sich Lichtverschmutzung am einfachsten vermeiden, indem man unnötiges Licht abschaltet. Wichtig ist daher die Frage: wo kann der Lichtgebrauch reduziert werden? Stats weiß, dass es hierzu auch künftig unterschiedliche Ansichten geben wird. So plädiert manch einer dafür, Fassaden nachts aus kulturellen Gründen zu beleuchten. Andere wiederum finden das komplett unnötig. Und was ist mit dem Thema Sicherheit? Sollte Straßenbeleuchtung zu bestimmten Zeiten abgeschaltet werden – oder zumindest reduziert? Wie man LEDs am besten einsetzt, um Lichtverschmutzung zu vermeiden, ist laut Stats ein relativ neues Forschungsfeld. Eine genauere Definition und ein Konsens hierzu stehen noch aus. „Es geht jetzt darum, einen Kompromiss zu finden zwischen Sicherheitsbedürfnissen, rechtlichen Vorschriften, Design, Orientierung und Effizienz.“
Wenn Sie also das nächste Mal nachts das Licht anmachen oder nach draußen gehen, sehen Sie sich einmal um und fragen sich: wie viele der Lampen, die zu sehen sind, braucht es tatsächlich? Und wie viele strahlen wirklich nur dorthin Licht, wo es auch hin soll? Und dann schauen Sie nach oben. Können Sie die Sterne sehen?