Vor Sonnenuntergang verlässt JanLeonardo selten das Haus. Seine Nachbarn scherzen oft, er sei ein Vampir. In Wahrheit ist er süchtig: nach der Dunkelheit – und den Bildern, die er dank ihr malen kann. Wir entdecken die geheimnisvolle Welt des Light Painting durch die Augen des Mannes, der als Wegbereiter dieser Kunstform gilt.
Unser Interview beginnt um 15 Uhr. JanLeonardo muss mehrfach gähnen und entschuldigt sich umgehend dafür. Erstmal einen Schluck Kaffee. Er hatte heute erst bei Morgengrauen Feierabend und hat bis gerade eben geschlafen. Ein ganz normaler Arbeitstag also. Seit über zehn Jahren arbeitet er jetzt als Light Painter. Jede Nacht zieht er los mit seiner Kamera, unterschiedlichen Lichtquellen und, am Wichtigsten, einem Bild in seinem Kopf. Ein Bild, das er genau vor sich sieht, wenn er seine Augen schließt. Ein Bild, für dessen Erschaffung er die Dunkelheit braucht.
Jan Leonardo Wöllert wurde 1970 im norddeutschen Cuxhaven geboren. Heute ist er einer der bekanntesten Light Painter weltweit. Kunden wie das Modelabel Diesel oder die Band Coldplay beweisen: den Menschen gefällt, was sie sehen. Wir interviewen JanLeonardo zu seiner Arbeit und gehen der Frage nach, was ihn dazu inspiriert, seine Lichter anzuschalten, wenn andere sie nachts ausmachen.
Beim Light Painting kommen Fotografie mit langen Belichtungszeiten (wenn der Kameraverschluss offen bleibt) und tragbare Lichtquellen zum Einsatz. So lassen sich Bilder oder „Gemälde“ schaffen, entweder in einem Studio oder draußen in der natürlichen Dunkelheit. Die Bilder entstehen in Echtzeit und werden in einem einzigen Bildausschnitt festgehalten. JanLeonardo beschreibt seine Arbeit so: „Es ist, als wäre man ein blinder Maler, der seine Leinwand nicht sehen kann.“ Ist einmal alles am richtigen Platz, kann er nur noch den Auslöser drücken und minutenlang, manchmal auch stundenlang warten, bevor ein Bild auf seinem Bildschirm erscheint.
Light Painting nimmt viele Formen an. In seiner einfachsten kommt eine Art Licht-Graffiti zum Einsatz – Wörter oder Bilder werden mit einer sich bewegenden Lichtquelle gezeichnet, die auf die Kameralinse gerichtet wird. Eine andere beliebte Form ist Landscape Light Painting, also das Akzentuieren von Landschaften mit Licht. Diese Bilder beleuchten einen bestimmten Ausschnitt einer Landschaft mit Blitzlicht, sei es ein Baum, ein verlassenes Gebäude oder ein See. Das Ergebnis wirkt häufig etwas unheimlich, da Objekte aus der Dunkelheit auftauchen, oft in ungewöhnlichen Farben.
Wer die Arbeiten von JanLeonardo kennt, der kennt auch seine Light Art Performance Photography (LAPP). Dabei hält er Bewegungsabläufe von Künstlern fest, die eine Lichtquelle tragen oder mit ihr verbunden sind. Diese Performances werden für gewöhnlich choreographiert und geprobt, bevor die Belichtung stattfindet. Daher setzen sie ein großes Maß an Vorbereitung voraus. Das Ergebnis ist dann meist ein Light Painting einer Landschaft kombiniert mit Elementen wie Leuchtkugeln, beleuchteten Figuren, UFOs und manchmal Bilder, die aus einem Feuerwerk entstanden sind.
JanLeonardo ist selbst erlernter Fotograf und selbst erlernter Light Painter. Er sagt, dass er sich sein Handwerk allein „durch Ausprobieren“ beigebracht hat. Wenn er heute Workshops gibt, ermutigt er Anfänger, denselben experimentellen Ansatz zu wählen. Und er ist der festen Überzeugung, dass Light Painter von ihrer Neugier angetrieben werden. „Es geht darum, es immer wieder zu versuchen, bis Dir das gewünschte Bild gelingt“, erklärt er. „Oder endlich dahinterzukommen, wie ein anderer Künstler ein Bild geschaffen hat, dessen Methode Du zuerst nicht verstanden hast.“ Seiner Meinung nach ist es viel wichtiger, solch eine Neugier an andere weiterzugeben als das Wissen über spezielle Techniken. „Du musst ein Gefühl dafür entwickeln, was Du tust. Und verstehen, wie kompliziert die damit verbundene Arbeit ist."
Um ein Light Painting zu schaffen, braucht man eine Kamera, ein stabiles Stativ, eine Fernbedienung, um die Belichtung auszulösen und, natürlich, Lichtquellen. Das sind für gewöhnlich LEDs. JanLeonardo stellt aber klar, dass einem bei der Auswahl der Lichtquellen „keine Grenzen“ gesetzt sind. Man kann alles benutzen, was man in die Finger bekommt – seien es alte Taschenlampen, Spielzeug für Kinder oder Geräte aus dem Ein-Euro-Shop. Zwar hat JanLeonardo bereits eine Reihe begehrter Light-Painting-Instrumente entwickelt. Aber er ist dennoch der festen Überzeugung, dass man „zurück zu den Wurzeln kehren“ sollte – indem man persönliche Gegenstände benutzt. Das sei ein großartiger Quell für Inspiration und sorge für einen individuellen Touch.
Für JanLeonardo gibt es kein wichtigeres Equipment als eine blühende Fantasie. Man muss nicht nur eine gute Idee haben, sondern auch so lange wie möglich daran festhalten. Die meisten Ideen kommen ihm in der Badewanne. „Natürlich“ sei auch er manchmal frustriert – und es gab auch schon Fälle, wo er aufgeben musste. Er gibt zu, dass er ein Perfektionist ist. Unser Interview findet im Sommer statt – eine Zeit, so erklärt er, in der für ihn der Druck zunimmt. Schließlich sind die effektiven Arbeitszeiten (Dunkelheit) deutlich kürzer. Der Vorteil ist allerdings, dass er mitten in der Nacht nicht frieren muss. JanLeonardo muss jeden Tag Wind und Wetter mit einplanen. Im Vergleich zu Menschen mit einem Alltagsberuf lebt er in einem Paralleluniversum. Seine Nachbarn allerdings haben nichts zu befürchten!
Mehr über seine Arbeit erfahren Sie auf seiner Website: http://www.lightart-photography.de/galerie-janleonardo/ .